Anwachsung

Die Anwachsung ist ein juristisches Phänomen, bei dem der Anteil eines ausscheidenden Gesellschafters automatisch den verbleibenden Gesellschaftern zuwächst. Im Gegensatz zu einer regulären Übertragung von Anteilen findet hier kein aktiver Verkaufs- oder Schenkungsvorgang statt. Der Anteil des Ausscheidenden verteilt sich vielmehr kraft Gesetzes auf die übrigen Beteiligten – eine Art rechtliche Osmose, bei der die Lücke, die ein Gesellschafter hinterlässt, von den anderen aufgefüllt wird.

Anwachsung im Gesellschaftsrecht

Im Gesellschaftsrecht begegnet uns die Anwachsung vor allem bei Personengesellschaften. Wenn ein Gesellschafter aus einer GbR, OHG oder KG ausscheidet – sei es durch Tod, Kündigung oder Ausschluss – wächst sein Anteil automatisch den verbleibenden Gesellschaftern zu. Die Gesellschaft selbst besteht unverändert fort, nur mit weniger Mitgliedern.

Ein anschauliches Beispiel: Drei Anwälte führen gemeinsam eine Kanzlei als GbR. Jeder hält ein Drittel der Anteile. Wenn einer der Partner in den Ruhestand geht und aus der Gesellschaft ausscheidet, halten die beiden verbleibenden Anwälte automatisch jeweils die Hälfte der Anteile – ohne dass ein gesonderter Übertragungsakt notwendig wäre.

Die Anwachsung folgt dem Grundsatz der gesamthänderischen Bindung. Die Gesellschafter bilden zusammen eine Gemeinschaft, und beim Ausscheiden eines Mitglieds verteilt sich dessen Anteil auf die übrigen. Für diesen Zuwachs müssen die verbleibenden Gesellschafter in der Regel eine Abfindung an den Ausscheidenden zahlen.

Anwachsung im Erbrecht

Auch im Erbrecht spielt die Anwachsung eine wichtige Rolle, besonders bei Testamenten und Erbverträgen. Wurden mehrere Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt und fällt einer davon weg, tritt unter bestimmten Voraussetzungen eine Anwachsung zugunsten der übrigen Bedachten ein.

Das klassische Beispiel ist das Berliner Testament: Ehepartner setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen, dass die Kinder erst nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten erben sollen. Verstirbt ein Ehepartner, wächst sein Anteil dem überlebenden Partner an. Die Kinder müssen warten.

Die erbrechtliche Anwachsung folgt dem vermuteten Willen des Erblassers. Dieser möchte typischerweise, dass sein Nachlass bei den von ihm ausgewählten Personen bleibt und nicht durch Wegfall eines Begünstigten teilweise an gesetzliche Erben fällt.

Steuerliche Folgen der Anwachsung

Steuerlich führt die Anwachsung zu interessanten Konstellationen. Da kein formeller Übertragungsvorgang stattfindet, stellt sich die Frage: Liegt hier überhaupt ein steuerpflichtiger Vorgang vor?

Die Finanzverwaltung sagt: Ja, es handelt sich um einen entgeltlichen Erwerb. Die verbleibenden Gesellschafter müssen für den ihnen anwachsenden Teil typischerweise folgende steuerliche Aspekte beachten:

Besonders bei Immobilien-GbRs kann die Grunderwerbsteuer schmerzhaft werden. Hier lohnt sich frühzeitige steuerliche Gestaltung, um unnötige Belastungen zu vermeiden.

Anwachsung in der Praxis gestalten

In der Praxis kann die gesetzliche Anwachsung durch vertragliche Regelungen modifiziert oder ausgeschlossen werden. Gesellschaftsverträge enthalten oft detaillierte Klauseln zum Ausscheiden von Gesellschaftern.

Statt der Anwachsung kann vereinbart werden, dass der Anteil des Ausscheidenden an einen Dritten oder an die Gesellschaft selbst übertragen wird. Auch eine Fortsetzungsklausel mit den Erben eines verstorbenen Gesellschafters ist möglich.

Die Gestaltungsmöglichkeiten umfassen:

  1. Die Höhe und Berechnung der Abfindung
  2. Die Zahlungsmodalitäten (Raten, Stundung, Verzinsung)
  3. Wettbewerbsverbote für ausscheidende Gesellschafter
  4. Regelungen zu Firma und Kunden bei Ausscheiden
  5. Sonderregelungen für bestimmte Ausscheidensgründe

Ein durchdachter Gesellschaftsvertrag kann viel Streit vermeiden. Besonders bei der Bewertung des Gesellschaftsanteils kommt es ohne klare Regelungen oft zum Konflikt.

Sonderfälle und Grenzen

Die Anwachsung stößt in bestimmten Fällen an Grenzen. Bei der Einmann-GbR etwa führt das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dazu, dass der letzte Gesellschafter das Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt. Die Gesellschaft erlischt.

Auch bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH gibt es keine echte Anwachsung. Hier werden die Anteile eines ausscheidenden Gesellschafters eigenständig übertragen – sei es durch Verkauf, Einziehung oder Abtretung.

Eine besondere Situation entsteht bei der zwangsweisen Ausschließung eines Gesellschafters. Hier ist die Anwachsung mit besonderen Schutzvorschriften verbunden, um Missbrauch zu verhindern. Der ausgeschlossene Gesellschafter hat Anspruch auf eine angemessene Abfindung, die notfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann.